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nnz-Betrachtung zu einer denkwürdigen Pressemeldung

Demonstranten unter Generalverdacht gestellt

Sonnabend, 02. Juli 2022, 12:50 Uhr
Unter der Überschrift „Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten hat zugenommen“ veröffentlichte das Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales heute eine Pressemeldung, die es in sich hat. Die Quintessenz des vom Mediensprecher des Ministers, Daniel Baumbach, unterzeichneten Beitrages ist eine ganz einfache: Straftaten gegen Polizisten werden auf Corona-Demos begangen, denn dort tummeln sich „rechte Gewalttäter“, die erbarmungslos zuschlagen…

Der Thüringer Innenminister Georg Maier droht deshalb auch gleich zu Beginn der Veröffentlichung: „Wer seinen Frust und seine kriminelle Energie gegen die Hüter unseres Rechtsstaates richtet, wird dafür konsequent zur Rechenschaft gezogen. Die Aufklärungsquote für derartige Straftaten ist nahezu 100 Prozent“

Thüringens Innenminister Georg Maier hier noch vor den Corona-Protesten (Foto: nnz-Archiv) Thüringens Innenminister Georg Maier hier noch vor den Corona-Protesten (Foto: nnz-Archiv)

Er sorgt sich, „weil Straftaten gegen Polizeivollzugsbeamte und –beamtinnen zugenommen haben.“ Im vergangenen Jahr, so die weitere Verlautbarung, gab es 1.182 Straftaten gegen Polizistinnen und Polizisten - 124 mehr als noch 2020. „Im Bereich der gefährlichen und schweren Körperverletzung haben wir sogar eine Verdopplung“, läßt Maier uns wissen.

2021 wurden im Bereich des Widerstands gegen (2021: 722, 2020: 691) und des tätlichen Angriffes (2021: 311, 2020: 227) auf Polizeivollzugsbeamte über 100 Straftaten mehr gezählt. „Diese Straftaten wurden hauptsächlich auf Corona-Demonstrationen begangen. Das zeigt, wie aggressiv die Stimmung in einem bestimmten Teil der Bevölkerung ist. Das sind jene, die sich gegen notwendige staatliche Maßnahmen auflehnen und dabei nicht davor zurückschrecken, Polizisten schwer zu verletzen“, so Maier.

Menschen, die sich gegen die (spätestens seit den gestern veröffentlichten Sachverständigenberichten) als größtenteils wirkungslos und schikanös attestierten Maßnahmen „auflehnen“ sind für Maier demnach automatisch diejenigen, die „nicht davor zurückschrecken, Polizisten schwer zu verletzen“.

Das ist starker Tobak und erinnert an Maiers SPD-Parteigenossen Karl Lauterbach, der dem umgeimpften Pflegepersonal kürzlich vorwarf, es hätte nichts geleistet in der Pandemie. Welchen Zweck Lauterbach mit seinen skurrilen Äußerungen beabsichtigt, mögen Lobbyisten-Kritiker ergründen; was Maier hier in Thüringen beabsichtigt, ist relativ simpel zu erfassen. Er will die Demonstranten, die ihre Grundrechte auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen und sich damit mitunter in Widerspruch zur offiziellen Regierungsmeinung begeben weiter delegetimieren.

Im Stile echter Propaganda-Berichterstattung wird als nächstes der Fall des Polizeihauptkommissars S. beleuchtet, „der bei einem „Hygienespaziergang“ verletzt wurde“, wie es wörtlich in der ministeriellen Nachricht heißt. Dem Beamten wurde durch einen Faustschlag die Nase gebrochen, wodurch er vier Wochen dienstunfähig war. „Im ersten Moment übelster Adrenalinausstoß“, erinnert sich der Polizist an die Tat. „Ich funktionierte einfach weiter. Im Nachhinein fassungslos, weil man mit solch einer Gewalt nicht rechnet.“ Den Schläger konnte der Polizeihauptkommissar selbst noch mit festnehmen. Videoaufnahmen machten die Beweislage eindeutig.

Innenminister Maier wird nach dieser sachbezogenen Einzelfall-Schilderung wieder zitiert und kommt jetzt auch endlich auf den Punkt: „Wir wissen, dass rechte Aufrührer die Stimmung bei solchen Demonstrationen anheizen und auch gezielt Attacken gegen die Staatsmacht planen. Das sind keine `besorgten Bürger`, die dort zuschlagen, sondern rechte Gewalttäter.“

Wie viele friedlich verlaufene vom Innenminister verächtlich machend in Anführungsstriche gesetzte „Hygienespaziergänge“ und andere Demonstrationen es in den beiden Corona-Jahren in Thüringen gegeben hat, spielt für ihn keine Rolle. Auch nicht, wie die Polizeibeamten in Nordhausen und anderswo für ihr Engagement gelobt und beklatscht wurden, wenn sie für einen geregelten Ablauf der Aufmärsche sorgten oder die Gegendemonstranten davon abhielten, die Demonstrationszüge anzugreifen. Womit er allerdings Recht hat ist, dass es keine „besorgten“ Bürger mehr waren, die auf die Straße gingen, sondern längst verärgerte und wütende Bürger.

Maiers Satz unterstellt im Umkehrschluss unterschwellig, dass aus diesen Menschen nun „rechte Gewalttäter“ geworden seien. Um es dem etwas begriffsstutzigen Leser deutlich zu machen, läßt Maier seinen Mediensprecher fortfahren:
„Auch der Polizeihauptkommissar kann das mit seinen Erfahrungen von der „Basis“ nur bestätigen. S. hat beobachtet, wie Anhänger der rechten Szene im Zuge der Pandemie immer mehr Fuß fassten unter den Demonstranten. Sie hätten sich „eingeschleust“ und damit die „Gewaltspirale“ entfacht. „Unterwandert ist der richtige Ausdruck. Das sind Personen, die sehen aus wie der normale Bürger. Die versuchen das zu leiten, nicht zwingend in die rechte Ideologie, aber gegen die staatlichen Maßnahmen, gegen den Staat an sich.“

Hier endet die Pressemeldung und wir werden mit der Beobachtung entlassen, dass die Anhänger der rechten Szene aussehen wie du und ich und überall sein könnten. Und wir sollten uns auch nicht wundern, wenn sie gar nichts „rechtes“ sagen würden. Die äußerst simple Logik hinter der Aussage, die klugerweise dem Polizisten in den Mund gelegt wird, so das der Minister unangreifbar bleibt, ist nun die: Rechte und Staatsfeinde sind alle die, die gegen staatliche Maßnahmen sind. Oder anders ausgedrückt: wer gegen staatliche Maßnahmen ist, ist „gegen den Staat an sich.“ Und so wird der jetzt aufgeklärte Thüringer Bürger es im Herbst tunlichst vermeiden, gegen Coronamaßnahmen oder andere ihm mißfallende Sachverhalte auf die Straße gehen, denn schon der Nebenmann im Demonstrationszug könnte ein eingeschleuster rechter Gewalttäter sein. Für die meisten, die bereits an solchen "Hygienespaziergängen" teilgenommen haben mag das absurd klingen, aber es ist nun eben die Meinung der Thüringer Landesregierung und ihrer exekutiven Ordnungskräfte.

Tut mir leid, aber das war kein Meisterstück, vom Herrn Maier und seinem Presse-Attaché. So offen wie in dieser offiziellen Regierungs-Medienmitteilung geschehen wurden Menschen in Deutschland schon mehrfach in der Geschichte kategorisiert, unter Generalverdacht gestellt und eingeschüchtert. Aber wohl noch nie zuvor in einer bürgerlichen Demokratie, die auf den Grundwerten der Französischen Revolution und der Charta der amerikanischen Gründerväter fußt. Oder tut sie das inzwischen nicht mehr im Freistaat Thüringen in der Bundesrepublik Deutschland?
Olaf Schulze
Autor: red

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