Mi, 11:09 Uhr
16.03.2016
Sucht und Kriminalität
Computersucht – Mythos oder Realität?
Gibt es sie wirklich oder sind "Computer- und Internetsucht" nur Mythen die der Medienhype produziert? Zu diesen und anderen Fragen konnte man heute auf dem Öffentlichkeitstag der Nordhäuser Suchtberatung einiges erfahren. Neben der Enträtselung der modernen Medienwelt ging es auch um Rauschgiftkiminalität in Nordthüringen...
Suchtprobleme, sei es Alkohol-, Drogen oder auch Spielsucht, sind ein weites, ein dunkles Feld. Zu Tage treten nur die Fälle, die entweder bei der Polizei oder der Suchtberatung landen. Meist sind beide Stellen involivert. "Das Klientel ist häufig dasselbe, aber die Blickwinkel sind andere", sagte denn auch heute Vormittag Detlef Grabs, Amtierender Leiter der Nordhäuser Polizeidirektion.
Zuvor hatte man schon den eindringlichen Erfahrungsbericht eines Betroffenen gehört - Christian blieb auf Chrystal Meth "hängen", bis er zur Suchtberatung kam. Nach einem dreiviertel Jahr habe er viel erreicht, lobte ihn der Leiter der Suchtberatung, Dirk Rzepus. Wieder auf den richtigen Weg zu kommen brauche Zeit, meinte Rzepus, wer selber mitmachen will und sich in den Prozess einbringt, der könne es schaffen.
Mit welchen Problemlagen und Süchten man sich bei der Suchtberatung im vergangenen Jahr beschäftigen musste, das hatte die Einrichtung erst vor kurzem in ihrem Jahresbericht dargelegt. Chrystal ist dabei eines der aktuell vordringlichsten Probleme, das registriert man auch bei der Polizei.
Ob Großstadt oder ländlicher Raum mache keinen wirklichen Unterschied, erklärte Polizeichef Grabs, in Nordthüringen sei "alles verfügbar, bis in die kleinste Gemeinde hinein. Wer etwas will, der kann es auch bekommen". Dabei habe sich die Zahl der registrierten Straftaten zwischen 1999 und heute kaum verändert, obwohl es weniger Polizisten gibt. Rauschgift habe Ende der 90er allerdings kaum eine Rolle gespielt, heute sei das anders, nach einem vermeintlichen Einbruch im "Hellfeld" 2008 hatte die Polizei andere Maßnahmen ergriffen und registriert seitdem einen stetigen Anstieg der Rauschgiftkriminalität. Ingesamt mache diese einen Anteil von rund 8% an der Gesamtkriminalität aus, erklärte Grabs.
Detlef Grabs, amtierender Leiter der Nordhäuser Polizeidirektion, sprach über Rauschgiftkriminalität in Nordthüringen (Foto: Angelo Glashagel) Ganz vorne dabei ist Chrystal, "Teufelszeug, das Hirn und Psyche kaputt macht", erklärt der Leiter der Nordhäuser Dienststelle, aber eben auch mit hoher Gewinnspanne - es lockt das schnelle Geld. Über die Konsumenten kommt die Polizei an die Händler heran, die meist selbst nicht konsumierten. Ihre Kunden finden die Beamten immer öfter im Straßenverkehr. Neben Drogen am Steuer spielt auch Fahren unter Alkoholeinfluss weiter eine Rolle, die Zahlen sind aber rückläufig, sagt Grabs. K.O.-Tropfen die nur 24 Stunden nachweisbar sind, Indoor-Anbau von nach wie vor beliebtem Cannabis, Kokain in Obstkisten beim Discounter - Grabs kann noch so einiges aus dem Arbeitsalltag seiner Kollegen erzählen. Mehr zur Polizeiarbeit wird man nächste Woche erfahren, dann werden die Statistiken des vergangenen Jahres vorgestellt.
Zum eigentlichen Hauptthema des Tages aber kann die Polizei nur wenig sagen: Computer- und Spielsucht sind nicht strafbar, die Beschaffungskriminalität die damit einhergehen kann allerdings schon.
Dabei ist fraglich ob die Computersucht, wie man sie sich allgemeinhin vorstellt, existiert oder vielmehr wie gravierend das Problem tatsächlich ist. Dafür hatte man sich mit Dr. Jörg Petry einen echten Fachmann eingeladen. Der Psychologe befasst sich seit 1998 mit Computersüchtigen und versucht gleich zu Beginn den einen oder anderen medialen Zahn zu ziehen.
Er zeigt ein scheinbar eindeutiges Bild - große Kunst, Rembrandt, davor ein Haufen Kinder die auf ihre Handys starren. Ist das also die Abkopplung von der Wirklichkeit, die Flucht in die Virtualität, der Untergang des Abendlandes? Nicht unbedingt, es könnte auch sein das der Lehrer versucht seinen Untericht
zu "gamifizieren", also mit Elementen aus Computerspielen auffrischt. Die Schülergruppe hätte dann ein "Quest" bekommen, einen Aufgabe wie man sie von Spielen auf PC oder Konsole kennt. Sie sollen recherchieren und so lernen. Wie heißt Rembrandt eigentlich mit vollem Namen? Wie lautet der Titel des Bildes und was zeigt es? Wie sind die historischen Zusammenhänge?
Dr. Petry hat noch mehr Beispiele, zeigt etwa ein Bild von Menschen, die an einem modernen Bahnsteig warten und auf ihre Handy's starren, gefolgt von einem Bild aus den USA der späten 40er - statt Displays starrte man damals auf Tageszeitungen. Man befinde sich in einem kaum zwanzig Jahre alten medialen Umbruch, wie man ihn schon vom Übergang zur Schriftlichkeit her kennt. Gute Zeiten sowohl für Kulturpessimisten wie auch Utopisten, die Wahrheit wird, wie so oft, irgendwo in der Mitte liegen. Die jüngere Generation gewöhne sich an die neuen Medien, "und die Mehrheit geht positiv damit um", beruhigt der Psychologe. Die Schriftkultur gehe auch nicht unter, meint Petry, es werde noch genauso viel gelesen wie früher, allerdings beschäftigen sich weniger Menschen mit bedruckten Seiten. Die Unterschiede lägen hier vor allem im sozialen Milieu.
Was nicht heißt das es Computersucht nicht gäbe. Nur wird das Phänomen allgemeinhin überschätzt. Schuld daran ist nach Meinung des Doktors eine Mischung aus Medienhype, einer "neurobiologischen Welle", die sich mit dem Thema befasst und der Politik, die auf den Zug aufgesprungen sei. "Es ist leichter sich über Computerspiele aufzuregen, als sich mit der Tabaklobby anzulegen", sagte Dr. Petry.
Fünf Kliniken gibt es in Deutschland, die das von Rentenversicherung und Krankenkassen anerkannte Krankheitsbild behandeln. Rund 80% der Patienten sind Gamer, 20% Chatter(Innen). Stark vertreten seien die "unteren sozialen Schichten, Menschen mit Migrationshintergrund und Studenten, vor allem aus dem IT Bereich", sagt Petry. Soziale Medien wie Facebook seien hingegen überhaupt kein Problem.
Eine Behandlung dauert in der Regel 10 Wochen. Dabei kann man nicht, wie bei anderen Süchten, auf Abstinenz setzen. Dafür ist die digitale Welt viel zu stark in Alltag und die Arbeitswelt integriert. Stattdessen bringt man den Patienten bei, verantwortungsvoll mit dem Computer umzugehen und gefährliche Anreize nach dem Ampelmodell zu vermeiden. Die Rückfallquote sei ähnlich wie bei anderen Süchten auch.
Das Problem sei da, sagt Petry, das Ausmaß werde aber überschätzt und bringt noch einen Vergleich an: ein Erwachsener schaut am Tag im Schnitt 3 3/4 Stunden Fernsehen, ein Jugendlicher verbringt 3 1/4 Stunden online. Die Umbruchszeit wird vorübergehen, das könnte hundert Jahre dauern, meint der Psychologe. Dann geben wahrscheinlich auch Utopisten und Pessimisten Ruhe. Zumindest bis zum nächsten großen Umbruch. Und der könnte mit tatsächlicher "virtueller Realität", vielleicht gar nicht mehr so lange auf sich warten lassen.
Angelo Glashagel
Autor: red
Detlef Grabs, amtierender Leiter der Nordhäuser Polizeidirektion, sprach über Rauschgiftkriminalität in Nordthüringen (Foto: Angelo Glashagel)
Suchtprobleme, sei es Alkohol-, Drogen oder auch Spielsucht, sind ein weites, ein dunkles Feld. Zu Tage treten nur die Fälle, die entweder bei der Polizei oder der Suchtberatung landen. Meist sind beide Stellen involivert. "Das Klientel ist häufig dasselbe, aber die Blickwinkel sind andere", sagte denn auch heute Vormittag Detlef Grabs, Amtierender Leiter der Nordhäuser Polizeidirektion.
Zuvor hatte man schon den eindringlichen Erfahrungsbericht eines Betroffenen gehört - Christian blieb auf Chrystal Meth "hängen", bis er zur Suchtberatung kam. Nach einem dreiviertel Jahr habe er viel erreicht, lobte ihn der Leiter der Suchtberatung, Dirk Rzepus. Wieder auf den richtigen Weg zu kommen brauche Zeit, meinte Rzepus, wer selber mitmachen will und sich in den Prozess einbringt, der könne es schaffen.
Mit welchen Problemlagen und Süchten man sich bei der Suchtberatung im vergangenen Jahr beschäftigen musste, das hatte die Einrichtung erst vor kurzem in ihrem Jahresbericht dargelegt. Chrystal ist dabei eines der aktuell vordringlichsten Probleme, das registriert man auch bei der Polizei.
Ob Großstadt oder ländlicher Raum mache keinen wirklichen Unterschied, erklärte Polizeichef Grabs, in Nordthüringen sei "alles verfügbar, bis in die kleinste Gemeinde hinein. Wer etwas will, der kann es auch bekommen". Dabei habe sich die Zahl der registrierten Straftaten zwischen 1999 und heute kaum verändert, obwohl es weniger Polizisten gibt. Rauschgift habe Ende der 90er allerdings kaum eine Rolle gespielt, heute sei das anders, nach einem vermeintlichen Einbruch im "Hellfeld" 2008 hatte die Polizei andere Maßnahmen ergriffen und registriert seitdem einen stetigen Anstieg der Rauschgiftkriminalität. Ingesamt mache diese einen Anteil von rund 8% an der Gesamtkriminalität aus, erklärte Grabs.
Detlef Grabs, amtierender Leiter der Nordhäuser Polizeidirektion, sprach über Rauschgiftkriminalität in Nordthüringen (Foto: Angelo Glashagel) Ganz vorne dabei ist Chrystal, "Teufelszeug, das Hirn und Psyche kaputt macht", erklärt der Leiter der Nordhäuser Dienststelle, aber eben auch mit hoher Gewinnspanne - es lockt das schnelle Geld. Über die Konsumenten kommt die Polizei an die Händler heran, die meist selbst nicht konsumierten. Ihre Kunden finden die Beamten immer öfter im Straßenverkehr. Neben Drogen am Steuer spielt auch Fahren unter Alkoholeinfluss weiter eine Rolle, die Zahlen sind aber rückläufig, sagt Grabs. K.O.-Tropfen die nur 24 Stunden nachweisbar sind, Indoor-Anbau von nach wie vor beliebtem Cannabis, Kokain in Obstkisten beim Discounter - Grabs kann noch so einiges aus dem Arbeitsalltag seiner Kollegen erzählen. Mehr zur Polizeiarbeit wird man nächste Woche erfahren, dann werden die Statistiken des vergangenen Jahres vorgestellt.
Zum eigentlichen Hauptthema des Tages aber kann die Polizei nur wenig sagen: Computer- und Spielsucht sind nicht strafbar, die Beschaffungskriminalität die damit einhergehen kann allerdings schon.
Dabei ist fraglich ob die Computersucht, wie man sie sich allgemeinhin vorstellt, existiert oder vielmehr wie gravierend das Problem tatsächlich ist. Dafür hatte man sich mit Dr. Jörg Petry einen echten Fachmann eingeladen. Der Psychologe befasst sich seit 1998 mit Computersüchtigen und versucht gleich zu Beginn den einen oder anderen medialen Zahn zu ziehen.
Er zeigt ein scheinbar eindeutiges Bild - große Kunst, Rembrandt, davor ein Haufen Kinder die auf ihre Handys starren. Ist das also die Abkopplung von der Wirklichkeit, die Flucht in die Virtualität, der Untergang des Abendlandes? Nicht unbedingt, es könnte auch sein das der Lehrer versucht seinen Untericht
zu "gamifizieren", also mit Elementen aus Computerspielen auffrischt. Die Schülergruppe hätte dann ein "Quest" bekommen, einen Aufgabe wie man sie von Spielen auf PC oder Konsole kennt. Sie sollen recherchieren und so lernen. Wie heißt Rembrandt eigentlich mit vollem Namen? Wie lautet der Titel des Bildes und was zeigt es? Wie sind die historischen Zusammenhänge?
Dr. Petry hat noch mehr Beispiele, zeigt etwa ein Bild von Menschen, die an einem modernen Bahnsteig warten und auf ihre Handy's starren, gefolgt von einem Bild aus den USA der späten 40er - statt Displays starrte man damals auf Tageszeitungen. Man befinde sich in einem kaum zwanzig Jahre alten medialen Umbruch, wie man ihn schon vom Übergang zur Schriftlichkeit her kennt. Gute Zeiten sowohl für Kulturpessimisten wie auch Utopisten, die Wahrheit wird, wie so oft, irgendwo in der Mitte liegen. Die jüngere Generation gewöhne sich an die neuen Medien, "und die Mehrheit geht positiv damit um", beruhigt der Psychologe. Die Schriftkultur gehe auch nicht unter, meint Petry, es werde noch genauso viel gelesen wie früher, allerdings beschäftigen sich weniger Menschen mit bedruckten Seiten. Die Unterschiede lägen hier vor allem im sozialen Milieu.
Was nicht heißt das es Computersucht nicht gäbe. Nur wird das Phänomen allgemeinhin überschätzt. Schuld daran ist nach Meinung des Doktors eine Mischung aus Medienhype, einer "neurobiologischen Welle", die sich mit dem Thema befasst und der Politik, die auf den Zug aufgesprungen sei. "Es ist leichter sich über Computerspiele aufzuregen, als sich mit der Tabaklobby anzulegen", sagte Dr. Petry.
Fünf Kliniken gibt es in Deutschland, die das von Rentenversicherung und Krankenkassen anerkannte Krankheitsbild behandeln. Rund 80% der Patienten sind Gamer, 20% Chatter(Innen). Stark vertreten seien die "unteren sozialen Schichten, Menschen mit Migrationshintergrund und Studenten, vor allem aus dem IT Bereich", sagt Petry. Soziale Medien wie Facebook seien hingegen überhaupt kein Problem.
Eine Behandlung dauert in der Regel 10 Wochen. Dabei kann man nicht, wie bei anderen Süchten, auf Abstinenz setzen. Dafür ist die digitale Welt viel zu stark in Alltag und die Arbeitswelt integriert. Stattdessen bringt man den Patienten bei, verantwortungsvoll mit dem Computer umzugehen und gefährliche Anreize nach dem Ampelmodell zu vermeiden. Die Rückfallquote sei ähnlich wie bei anderen Süchten auch.
Das Problem sei da, sagt Petry, das Ausmaß werde aber überschätzt und bringt noch einen Vergleich an: ein Erwachsener schaut am Tag im Schnitt 3 3/4 Stunden Fernsehen, ein Jugendlicher verbringt 3 1/4 Stunden online. Die Umbruchszeit wird vorübergehen, das könnte hundert Jahre dauern, meint der Psychologe. Dann geben wahrscheinlich auch Utopisten und Pessimisten Ruhe. Zumindest bis zum nächsten großen Umbruch. Und der könnte mit tatsächlicher "virtueller Realität", vielleicht gar nicht mehr so lange auf sich warten lassen.
Angelo Glashagel
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